Donnerstag, April 12, 2007

Reaktionen auf Oettingers Trauerrede für Hans Filbinger

Ich bin Kurpfälzer und damit "Landeskind" des Ministerpräsidenten von BW Oettinger. Ich bin auch CDU-Mitglied. Aber ein Anhänger von Oettinger bin ich nicht. Außerdem bin ich Jahrgang 1969 und habe die Aera und das Ende der Aera Filbinger nicht bewußt miterlebt.

Also habe ich mir einmal die Mühe gemacht, die Aussagen Oettingers und die seiner Kritiker zu verifizieren.

Der Autor Rolf Hochhuth nannte Oettingers Äußerungen "eine unverfrorene Erfindung". Die Tragödie des Matrosen Walter Gröger etwa sei bewiesen und als Buch erschienen, sagte Hochhuth. Diesen habe "Filbinger persönlich noch in britischer Kriegsgefangenschaft ermordet". Hochhuth fügte hinzu: "Wozu nichts Filbinger genötigt hat als die Tatsache, dass er ein sadistischer Nazi war."
www.tagesschau.de

Hierzu fand ich eine Quelle, die den Fall völlig anders darstellt, nämlich:

Walter Gröger, ein einundzwanzig Jahre alter Matrose, war im Oktober 1943 auf das Schlachtschiff „Scharnhorst“ versetzt worden, das in einem nordnorwegischen Fjord lag. Während er in Oslo auf die nächste Transportmöglichkeit zu warten hatte, lernte er eine Norwegerin kennen, schlüpfte zu ihr, und alsbald planten beide eine Flucht nach Schweden. Die Frau aber zögerte und bat nach vier Wochen einen ihr bekannten Feldwebel um Mithilfe für Grögers Verschwinden. Das führte zur Festnahme Grögers und der Frau durch die deutsche Militärpolizei. Der Untersuchungsführer und das Gericht in Oslo suchten beide Delinquenten zu schonen. Der Matrose war zwar schon dreizehnmal disziplinarisch und einmal kriegsgerichtlich (wegen Urlaubserschleichung) bestraft worden, aber das lag schon ein Jahr zurück. Inzwischen trug er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und die Ostmedaille. Das Gericht er- kannte auf Fahnenflucht. Die Absicht der Fahnenflucht und die Länge der Abwesenheit von der Truppe ließ keine andere Deutung zu. Das Gericht verurteilte Gröger zu acht Jahren Zuchthaus und sah von der Todesstrafe ab, weil es in dem Matrosen trotz seines beträchtlichen Strafregisters einen „guten Kern“ entdeckt hatte. Die Frau wurde zu zwei Jahren Gefängnis wegen „Wehrkraftzersetzung“ verurteilt. Ihre Strafe wurde ausgesetzt.

Das Bestätigungsverfahren führte in Etappen bis zum Flottenchef. Der erste Gerichtsherr, der Befehlshaber der Seeverteidigung Oslo-Fjord, entschied sich für die Bestätigung des Urteiles über Gröger, aber gegen die Strafaussetzung für die Frau. Der Flottenchef, Generaladmiral Schniewind, bestätigte die Feststellung der Fahnenflucht des Matrosen, aber nicht die Zuchthausstrafe für Gröger. Er forderte die Todesstrafe.

Damit ging der Fall zurück an das Militärgericht in Oslo. Der Untersuchungsführer, derselbe wie im ersten Verfahren, setzte alle Hebel in Bewegung, um günstige Zeugnisse früherer Vorgesetzter Grögers herbeizuschaffen, damit das Gericht mildernde Umstände nachweisen und am ersten Urteil festhalten könne. Das Leben Grögers hing am Nachweis guter Führung. Doch alle zusätzlich eingeholten Beurteilungen fielen niederschmetternd aus. Auch die Uniformjacke mit dem Band des Eisernen Kreuzes und der Ostmedaille war gestohlen. Der Fall war aussichtslos geworden. Filbinger war bis dahin nicht damit befaßt. Am Tag der Hauptverhandlung, Mitte Januar 1945, war der Untersuchungsführer verhindert, die Anklage zu vertreten. Filbinger, erst im Dezember nach Oslo versetzt, mußte eine Anklage übernehmen, auf deren Vorbereitung er keinerlei Einfluß hatte nehmen können. In diesem späten Stadium des zweiten Verfahrens war Filbinger angewiesen, die Todesstrafe zu fordern. Das Gericht fand keine Gründe, am milderen ersten Urteil festhalten zu können. Die Behauptung des „guten Kerns“ Grögers war kollabiert.

Franz Neubauer weist in seinem Buch mit Entschiedenheit Ansichten von Kritikern zurück, Filbinger hätte Widerspruch gegen die Weisung des Flottenchefs einlegen können; aber die Weisung war nicht gesetzwidrig ergangen. Oder: Filbinger hätte um Gnade bitten können. Doch das war dem Anklagevertreter nach der Gnadenordnung verwehrt. Nur der Verteidiger konnte den Gerichtsherrn um Gnade bitten. Immerhin waren bei Verurteilungen zum Tode die Richter verpflichtet, in verschlossenen Umschlägen dem Gerichtsherrn Gründe für einen Gnadenerweis darzustellen. Am Ende war es nicht der Flottenchef, sondern der Oberbefehlshaber der Marine selbst, Admiral Dönitz, der den Begnadigungsantrag des Verteidigers für Gröger ablehnte und die Vollstreckung verfügte. Als die Akte am 15. März 1945 in Oslo eintraf, ordnete Filbinger die Vollstreckung für den nächsten Tag an. Man hat ihm vorgeworfen, er habe damit nicht einmal bis zum Ende der Frist, dem dritten Tage, abgewartet. Hätte es etwas geändert? Daß Filbinger sich selbst zum Leitenden Offizier der Vollstreckung einsetzte, ist ihm als Sadismus ausgelegt worden. Den Kritikern war unbekannt, daß der Staatsanwalt verpflichtet war, die Vollstreckung zu beaufsichtigen, und daß es in der Justiz als ungehörig galt, wenn derjenige Staatsanwalt, der die Todesstrafe beantragt hatte, einen anderen mit der Aufsicht über den entsetzlichen Vorgang beauftragte. Man hat Filbinger schließlich auch noch die Kargheit des Hinrichtungsprotokolls als Herzlosigkeit ausgelegt. Kann man aber in der bürokratischen Formelhaftigkeit des Protokolls und der Unterlassung jedes persönlichen Wortes nicht eher einen Akt bewußten Verstummens des Aufsicht führenden Offiziers gegenüber der Schrecken und Mitleid erregenden Exekution eines jungen Burschen erkennen?


Der Fall Filbinger von Günther Gillessen

Von einer Erschießung in britischer Militärgefangenschaft ist da nichts zu lesen, dafür an dieser Stelle:

Einen Hinweis auf Filbingers Motiv kann man dem Fall Petzold entnehmen, den Rolf Hochhut für ungeheuerlich hielt. Filbinger hatte drei Wochen nach Kriegsende, am 29. Mai 1945, in britischer Kriegsgefangenschaft den Flakartilleristen Petzold zu sechs Monaten Gefängnis wegen „Erregens von Mißvergnügen (Unbotmäßigkeit), Gehorsamsverweigerung und Widersetzung“ verurteilt. Der Soldat hatte unter Alkohol am 10. Mai den Befehl seines Batteriechefs zum Umzug in eine andere Baracke verweigert mit den Worten: „Die Zeiten sind jetzt vorbei. Ich bin ein freier Mann. Ihr habt jetzt ausgeschissen. Ihr Nazihunde. Ihr seid schuld an diesem Krieg.“

Der Krieg war vorbei, aber die Briten hatten in ihren Kriegsgefangenenlagern in Norwegen die Organisation der Wehrmacht aufrechterhalten. So waren Filbinger und seine Beisitzer noch monatelang nach der Kapitulation gehalten, im Status eines deutschen „Feldkriegsgerichts“ und „auf Befehl des (deutschen) Gerichtsherrn und Kommandanten der Seeverteidigung Oslo-Fjord“ im britischen Lager nach deutschem Militärrecht Recht zu sprechen. Nur der oberste Gerichtsherr hatte gewechselt. Jetzt war dies König Georg VI. von England. Die Vollstreckung des Urteils konnte Petzold nicht sehr wehgetan haben: Umzug in eine andere Baracke des Lagers bei täglichem Ausgang zum Baden am Meer.


Der Fall Filbinger von Günther Gillessen

Nach Lektüre des Artikels von Herrn Gillessen (et audiatur alter pars) kann ich mich zumindest nicht in die Reihe derjenigen stellen, die Oettingers Rede als "völlig überflüssig und kontraproduktiv" bezeichnen.

Auf eine andere Quelle mit durchaus kritischem Inhalt macht RA Stübing in den Kommentaren aufmerksam.

Der Fall Filbinger von Prof. Dr. Wolfram Wette

8 Kommentare:

  1. Aufschlussreicher zum Fall Filbinger finde ich folgende Netzfundstelle:

    http://www.vauban.de/pub/wette.pdf

    Erscheint mir auf den ersten Blick unvoreingenommener.

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  2. Die erste vernünftige Auseinandersetzung mit diesem Thema, die ich in den letzten Tagen gelesen habe. Glückwunsch. Unsäglich finde ich, dass Charlotte Knobloch eher Mitleid mit den Hinterbliebenen der getöteten Soldaten angebracht sei. Bei einer auch nur ansatzweisen Auseinandersetzung mit dem Thema hätte sie feststellen müssen, dass Filbinger wenn überhaupt nur an einem einzigen Tod Mitverantwortung trug.

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  3. Man lese seine Äußerungen aus jüngerer Zeit.
    http://www.netzeitung.de/deutschland/612570.html

    "Was damals Recht war,..."
    "... Unheil ..."
    ... " gefährdete das Ganze ..."

    M.Brinkmann

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  4. Den Originaltext von Hochhuthv, aus dem die Tagesschau zitiert, findet sich übrigens in der Sueddeutschen. Er behauptet dort, er würde aus einer Akte zitieren, die er im Bundesarchiv gefunden hat.

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  5. wie kann ein mann wie hans filbinger, von einem Stuttgarter Gericht als `furchtbarer Jurist` bezeichnet, mit einem Staatsbegräbnis von einer angeblich so demokratischen Bundesrepublik geehrt werden. Vor allem wie kann ein Mann, in meinen Augen nicht besser als alle anderen Kriegsverbrecher, zu einem amt als ministerpräsident kommen.
    Die äusserungen öttingers über filbinger zeigen welch ein geist in den reihen der cdu vorhanden ist. kein wunder dass die rechtsradikalen so starken zulauf haben.

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  6. Filbinger war sowohl Nazi als vor allem auch Karrierist. Karrierist war er aber wohl noch mehr als Nazi. Diese Eigenschaft, die eigene Ideologie immer an den zeitgeistigen Autoritäten zu orientieren, ist typisch für den deutschen Untertanengeist. Heute drückt sich dieser in einem ziemlich inhaltslosen, aber dafür schon fast zur Religion erhobenen Kampf gegen rechts aus.Wer heute Widerstand gegen die Irrungen der Zeit, nämlich Extremkapitalismus und multikulturelle Egalisierungsideologie, leisten will, kommt um die Wahl der NPD kaum herum. Die heutigen Karrieristen laufen diesen Ideen genauso gleichgeschaltet nach wie seinerzeit Filbinger dem Nationalsozialismus.

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  7. Nicht jeder Kommentar spiegelt meine persönliche Meinung wider.

    Solange sich die Beiträge im Rahmen halten, veröffentliche ich sie auch. Zumal ich mir durchaus bewußt bin zu einem umstrittenem Thema eine Mindermeinung zu vertreten.

    Ich betrachte den Fall Filbinger aus dem Jahr 2007 und nicht wie er seit 1978 von den Medien widergegeben wird.

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  8. Wenn jemand im Jahre 1978 sagt, was damals RECHT gewesen sei, könne heute kein Unrecht sein, dann hat er sein überzeugung doch dargelegt.

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