Mittwoch, November 12, 2008

Der BGH und die Geschäftsgebühr, ein Trauerspiel

a) Nach Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG ist unter der - hier gegebenen - Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, eine bereits entstandene Geschäftsgebühr teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung ist die gerichtliche Verfahrensgebühr zu mindern, nicht hingegen die vorgerichtliche Geschäftsgebühr. Die Geschäftsgebühr bleibt also unangetastet; durch die Anrechnung verringert sich lediglich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juli 2008 - IV ZB 24/07 - unter II 2 a; BGH, Urteile vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - NJW 2007, 2049 Tz. 11; vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06 - NJW 2007, 2050 Tz. 19; Beschluss vom 30. April 2008 - III ZB 8/08 - bei juris abrufbar Tz. 4). Dieser Umstand ist im Kostenfestsetzungsverfahren zwingend zu berücksichtigen.

Quelle: BGH, Beschluss vom 25.7.2008 - IV ZB 16/08

Da irrt das höchste Gericht, denn auch nach altem Recht fand eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die damals so genannte Prozessgebühr statt. Allerdings nicht lediglich zur Hälfte, sondern sogar in voller Höhe. Im Kostenfestsetzungsverfahren wurde die aussergerichtliche Geschäftsgebühr deshalb zu keiner Zeit berücksichtigt, wohl auch weil die Geschäftsgebühr in den seltensten fällen abgerechnet wurde; und nicht einmal von den weisen Richtern des BGH wurde dies gerügt.

§ 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO lautete:

(2) 1 Soweit die in Absatz 1 Nr. 1 bestimmte Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens entsteht, ist sie auf die entsprechenden Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren anzurechnen.


Die Friktionen, die mit diesem Rechtsprechungswandel einhergehen, sind legion.

Wenn keine Rechtsgrundlage ersichtlich ist, dass die unterlegene Partei auch die vorgerichtlichen Kosten des gegnerischen Anwalts zu tragen hat, wie es bei der außergerichlichen Vertretung der zu Unrecht in Anspruch genommenen Partei die Regel ist, ergibt sich eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber der Partei, die auch noch etwa aus Verzugsgesichtspunkten, die außergerichtlich entstandenen Gebühren einklagt.

Wird die Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren angerechnet, die außergerichtlich angefallene Gebühr als Nebenforderung ohne Zinsen eingeklagt, bekommt der Schuldner einen unverdienten Zinsvorteil.

Bei Kostenquotelungen ist fraglich, ob nach prozessrechtlichen Gesichtspunkten, dem Verhältnis Obsiegen/Unterliegen, oder nach materieller Betrachtungsweise in voller Höhe aus dem gerechtfertigten Streitwert, angerechnet werden muss.

Beispiele nach RVG:

Eingeklagt werden 5.000,00 EUR Hauptforderung und als Nebenforderung die sich hieraus ergebende Geschäftsgebühr. Der Kläger obsiegt mit 3.000,00 EUR.

Die 1,3 Geschäftsgebühr beträgt bei einem Streitwert von 5.000,00 EUR 391,30 EUR.
3/5 hieraus betragen 234,78 EUR
Die 1,3 Geschäftsgebühr beträgt bei einem Streitwert von 3.000,00 EUR 245,70 EUR.
Differenz: 10,92 EUR

Eingeklagt 50.000,00 EUR und als Nebenforderung die sich hieraus ergebende Geschäftsgebühr. Der Kläger obsiegt mit 30.000,00 EUR.

Die 1,3 Geschäftsgebühr beträgt bei einem Streitwert von 50.000,00 EUR 1.359,80 EUR.
3/5 hieraus betragen 815,88 EUR
Die 1,3 Geschäftsgebühr beträgt bei einem Streitwert von 30.000,00 EUR 985,40 EUR.
Differenz: 169,52 EUR

Um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, müsste das Gericht eine Geschäftsgebühr unter Zugrundelegung materiellrechtlicher Grundsätze aus dem gerechtfertigten Streitwert zuerkennen; wie nun im Kostenfestsetzungsverfahren die Anrechnung durchzuführen ist, bleibt mir allerdings schleierhaft.

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