Mittwoch, April 23, 2014

Irrsinn der Bedarfsgemeinschaft

Unser Sozialstaat macht es sich zuweilen sehr einfach. Leben zwei oder mehr Menschen dauerhaft in der Absicht zusammen, füreinander einstehen zu wollen, bilden sie eine Bedarfsgemeinschaft. Mit der Folge, dass bei der Beantragung von Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts nicht jedes Individuum nach seiner Leistungsfähigkeit beurteilt wird, sondern das Haushaltseinkommen auf die Köpfe der Bedarfsgemeinschaft umgelegt wird.

Nun nehmen wir einen Fall, der in der Praxis gar nicht so selten vorkommen dürfte:

Frau F und Herr H lernen sich kennen und lieben. Frau F ist einkommens- und vermögenslos und bezieht Hartz IV. Herr H kann seinen Lebensunterhalt selbst decken. Irgendwann ist die zuneigung so groß, dass man eine gemeinsame Wohnung bezieht. Herr H kann sogar für Frau F sorgen, die ihm liebevoll den Haushalt führt. Nun wird Frau F aus dem Leistungsbezug entlassen. Sie hat Wohnung, Nahrung und Kleidung, die ihr Herr H gerne bereitstellt.

Herr H sagt Frau F sogar zu, ihre Krankenkassenbeiträge zu übernehmen. Denn anders als in Österreich gibt es eine kostenfreie Mitversicherung nur für Ehegatten, Lebenspartner und Kinder. Frau F selbst könnte die Beiträge selbst nicht aufbringen. Also beantragt Frau F bei der Krankenkasse die freiwillige Mitgliedschaft zum Basistarif.

Und nun passiert das, was passieren muss, um hierüber zu berichten. Die Beziehung zwischen H und F geht auseinander. Und weil Herr H sich für Frau F nun gar nicht mehr verantwortlich fühlt, bezahlt er die letzte Rechnung der Krankenkasse auch nicht mehr, die jeweils für 3 Monate rückwirkend erstellt wird.

Beim Hilfeträger verweist man Frau F darauf, dass für Zeiten, in denen sie mit Herrn H eine Bedarfsgemeinschaft gebildet hat, keine Leistungen gewährt werden können.

Herr H hingegen macht geltend, er habe auf freiwilliger Basis schon genug für Frau F getan. Schließlich habe Frau F den Vertrag mit der Krankenkasse abgeschlossen. Einen Anspruch auf Übernahme der Krankenkassenbeiträge habe weder Frau F noch die Krankenkasse gegen ihn. Denn einen Unterhaltsanspruch hätte Frau F schließlich nur, wenn sie mit ihm entweder verheiratet wäre oder sich um ein gemeinsames Kind kümmern würde- und das auch nur in den ersten drei Lebensjahren.

Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich. Denn das Problem ist schon Jahre alt. bereits der Vewaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte mit seiner Entscheidung vom 08.07.1997 dem Sozialhilfeträger recht gegeben. Nichteheliche Lebensgemeinschaften dürften gegenüber Ehegatten nicht besser gestellt werden.

RN 30 Voraussetzung für einen Anspruch nach § 13 Abs. 2 BSHG ist das Bestehen einer Bedarfslage nach § 11 Abs. 1 BSHG. Danach muß der Hilfesuchende seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen können. Dabei werden bei nicht getrennt lebenden Verheirateten nach § 11 Abs. 1 S. 2 BSHG Einkommen und Vermögen beider Ehegatten im Rahmen einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt. Entsprechendes hat aber nach dem Besserstellungsverbot des § 122 S. 1 BSHG, wonach Personen, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben, hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden dürfen als Ehegatten, für die Klägerin und den mit ihr seinerzeit in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Partner zu gelten (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.5.1995, BVerwGE 98, 195/197; Beschl. des Senats v. 23.8.1978 - VI 1826/78 -, v. 13.12.1993 - 6 S 2480/93 - und vom 05.10.1995 - 6 S 2359/95; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 14. Aufl., § 122 RdNr. 8). In diesem Sinne ist § 122 S. 1 BSHG auf die Klägerin anwendbar.
Das Problem einer fehlenden Anspruchsgrundlage gegenüber dem Lebensabschnittsgefährten hatte man zwar damals bereits gesehen, sah sich aber an einer Abhilfe gehindert, da dies doch Aufgabe des Gesetzgebers
sei:
Sollte die Ungleichbehandlung von Ehegatten einerseits und von Personen eheähnlicher Gemeinschaften andererseits bei der Familienversicherung nicht als sozial befriedigend angesehen werden, wäre es nicht Sache der Sozialhilfe, sondern des Gesetzgebers, insoweit für eine rechtliche Abhilfe zu sorgen (vgl. OVG Münster, a.a.O.; siehe auch Rundschreiben des Landkreistages Bad.-Württ., Nr. 293/192 v. 25.08.1992, Ziff. 3.3).
Und offenbar hat sich nichts geändert. Frau F sieht sich den Forderungen ihrer Krankenkasse ausgesetzt, die sie nicht erfüllen kann, der Hilfeträger verweist auf die Leistungsfähigkeit des Herrn H, der seinerseits auf die fehlende Anspruchsgrundlage der Frau F gegen ihn verweist.

Und wenn sich die Katze genügend in den Schwanz gebissen hat, wird die Krankenkasse die Forderung gegenüber Frau F wegen Uneinbringlichkeit ausbuchen, so dass letztlich nicht der Steuerzahler über die Gewährung von Sozialleistungen oder Herr  H nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen, sondern die Mitglieder der Krankenkasse den Ausfall zu tragen haben.

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