Dienstag, Dezember 14, 2010

Verpasste Chance auf Rechtsfortbildung

In einem Unterhaltsverfahren wurde heute Vormittag ein Vergleich geschlossen, obwohl oder gerade weil die streitige Rechtsfrage es verdient gehabt hätte, höchstrichterlich geklärt zu werden.

Es ging um eine ausdehnende Anwendung der §§ 1609, 1603 Abs. 2 BGB, also um die sog. privilegierten Volljährigen.

Der entscheidende Satz in § 1603,II BGB lautet:

Den minderjährigen unverheirateten Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden.

Mein Mandant lebte bis 2007 im Haushalt der Mutter, bis dieser wegen Kindeswohlgefährdung das Sorgerecht entzogen wurde und wechselte anschließend in den Haushalt des Vaters. Weil sich das Zusammenleben mit der neuen Partnerin des Vaters schwierig gestaltete, zog mein Mandant Mitte 2008 auch dort aus und lebte mit Billigung beider Elternteile noch minderjährig in einer betreuten Wohngruppe, um die 11. Klasse des nahegelegenen Gymnasiums zu besuchen. 

Ebenfalls noch minderjährig zog der Mandant mit Billigung des Vaters dort aus und nahm sich ein Zimmer in der Nähe seiner Schule, wo er im Frühjahr 2011 sein Abitur ablegen will. (Der Vater hatte seit 2008 seinen Wohnsitz viermal verlegt.)

Im vorliegenden Rechtsstreit um Unterhalt wurde vom Vater mit Blick auf die gesetzliche Rangfolge des § 1609 BGB eingewandt, dass mit Eintritt der Volljährigkeit im November 2009 die Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit erloschen sei.

Der Mandant wurde vor Einreichung des Antrages ausdrücklich darauf hin gewiesen, dass im Mangelfalle Unterhalt nur erfolgreich geltend gemacht werden könne, wenn entgegen des ausdrücklichen Wortlauts des Gesetzes eine Privilegierung angenommen werden würde.

Leider folgte das Gericht dieser Argumentation nicht, sondern verwies auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte und einschlägige Kommentierung, wonach § 1603,II BGB mangels planwidriger Regelungslücke nicht analogiefähig sei.

Im Ergebnis hätte der Mandant nun wenige Monate vor den Abiturprüfungen seine Schulausbildung abbrechen müssen, um einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Denn weder Schüler-BaFöG noch Sozialhilfe waren erlangbar.

Wenn der Auszug aus dem väterlichen Haushalt freiwillig oder gar mutwillig gegen den erklärten Willen des Unterhaltsschuldners erfolgt wäre, ist gegen die gesetzgeberische Entscheidung nichts einzuwenden.

Vorliegend wurde der Mandant noch minderjährig abgeschoben, weil er nicht mehr in die Neugestaltung des Privatlebens des Vaters passte. Ein erfolgreicher Schulabschluss wäre bei Verbleib im väterlichen Haushalt bei 4 Umzügen in 30 Monaten höchst unsicher gewesen.

Ich wage zu bezweifeln, dass die gesetzlich geregelte Rechtsfolge dem Kindeswohl entspricht. Vielmehr ist es meiner Meinung in den Fällen, in denen das Kind von elterlicher Seite her nur als Störfaktor im elterlichen Haushalt angesehen wird, gerechtfertigt eine unterhaltsrechtliche Gleichstellung vorzunehmen, indem als ungeschriebener Tatbestand die Unterbringung außerhalb des elterlichen Haushaltes auf Veranlassung der Eltern hinzugedacht wird. Denn so ergeben sich ungeahnte Gestaltungs- und Missbrauchsmöglichkeiten, um in Mangelfällen den neuen Partner (mit und ohne Anhang) vor einem aufbegehrenden leiblichen Kind unterhalten zu können. Man muss die eigenen Kinder nur herausekeln.

Aus Gründen der Rechtsfortbildung bedauere ich den heute geschlossenen Vergleich, aus praktischen Gründen begrüße ich ihn ausdrücklich. Was hätte es dem Mandanten genützt, wenn das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2015 den Gesetzteswortlaut ebenso kippt (wie beispielsweise § 1626a,I,1 BGB) und dem Mandanten bestätigt, dass ein Anspruch auf Unterhalt in den Jahren 2009 und 2010 gegen den Vater bestanden hätte. Auch in Unterhaltssachen ist schnelles Geld gutes Geld.

2 Kommentare:

  1. Ich unterstelle einmal. dass nur in den allerwenigsten Fällen Eltern ihre Kinder aus eigennützigen Motiven aus dem Haushalt drängen. Im gegebenen Fall hätte der Vater den Sohn ja in dem Fall gar nicht bei sich aufnehmen müssen. Und ich unterstelle auch einmal, dass zumindest gelegentlich das Zusammenleben mit fast volljährigen Kindern auch am Verhalten eben dieser Kinder scheitern kann, die beispielsweise dem Stiefelternteil gegenüber keine ausreichende Akzeptanz zeigen.

    Ich würde mich in einem solchen extremen Fall eher fragen wie es sein kann, dass der junge Mann kein Schüler-Bafög bekommt.

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  2. *
    o Gymnasium
    o Realschule
    o Gesamtschule
    o Hauptschule

    Diese Schulformen werden nur gefördert, wenn Ihr nicht mehr bei den Eltern wohnt und folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

    * Schulweg ist zu weit vom Elternhaus
    * es liegt ein eigener Hausstand vor und es werden eigene Kinder von Euch betreut
    * Ihr seid verheiratet oder geschieden

    Liegen diese Voraussetzungen nicht bei Euch vor, so besteht kein Anspruch auf Schüler BAföG. Ersatzweise besteht aber bei Hilfebedürftigkeit Anspruch auf Hartz IV nach § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II. Lebt Ihr noch bei den Eltern, so besteht überhaupt kein Anspruch.

    http://www.bafoeg-aktuell.de/cms/bafoeg/schueler-bafoeg.html#Haushalt

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