Freitag, Oktober 26, 2007

Eine gesetzgeberische Zwickmühle

Ich sehe die Fortbildungspflicht nach der FAO nicht wie viele als lästig an, sondern ich genieße es, frei von konkreten Mandaten und Haftungsrisiken einem Vortrag zu lauschen und meiner Phantasie freien Lauf zu lassen zu können.

Gestern war ich unter anderem bei einem Vortrag über folgende Gesetzesvorhaben:


1. Gesetz zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren

2. Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

Dabei wurde vom Referenten, Herrn RiAG Dr. Joachim Oetter folgender Fall zu Nr.1 zur Diskussion gestellt:


Fall 2:
M willigte 2008 in eine Abstammungsuntersuchung ein, die ergab, dass V nicht Vater von K, geboren 1992, ist. Kurz darauf verschlechtern sich die schulischen Leistungen von K. Außerdem wird er von der Polizei mit Drogen erwischt. V will sich von M trennen und die Vaterschaft bezüglich K anfechten.



Im Skript heißte es zu den hier interessierenden Rechtsfragen (betrifft alles Gesetz zu Klärung der Vaterschaft...:

§ 1598a Abs. 3 BGB n.F. sieht die Aussetzung des Verfahrens vor, wenn die Klärung der leiblichen Abstammung eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des minderjährigen Kindes begründet.

Allerdings ist den Interessen des Klärungsberechtigten grundsätzlich Vorrang vor den
Interessen des Kindes zu gewähren, die Aussetzung stellt daher einen Ausnahmefall dar. Deswegen sind an die vorzutragenden Härtegründe strenge Anforderungen zu stellen. So reicht der Verlust des rechtlichen Vaters als Härtegrund nicht aus. Es sind vielmehr atypische, besonders schwere Folgen für das Kind gemeint etwa durch gravierende Verschlechterung einer bereits bestehenden Krankheit oder Suizidgefahr.

Da die Anfechtung weitreichende Folgen für das Kind haben kann, soll die Anfechtung in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des minderjährigen Kindes begründet würde, die auch unter Berücksichtigung der Belange des Anfechtungsberechtigten für das Kind unzumutbar wären, § 1600 Abs. 5 BGB n.F.


So weit so gut. Also, wenn das Kind einen schweren seelischen Schaden nimmt, weil der Mann, den es bisher als seinen leiblichen Vater angesehen hat und zu dem es eine enge Beziehung aufgebaut hat, sich von ihm abwendet, dann kann im Einzelfall das Interesse des vermeintlichen Vaters an der Klärung oder der Anfechtung der Vaterschaft zurückstehen. Isoliert betrachtet kann ich der Wertung des Gesetzgebers folgen.

Wie ich aber dem Herrn Richter im persönlichen Gespräch mitteilte, sind die Gerichte zur Klärung einzelner (isolierter) Rechtsfragen berufen, während die Lebenssachverhalte in der Anwaltskanzlei bewältigt werden müssen.

Denn sicherlich ist ein drogenabhängiges, minderjähriges Kind ein eindeutiger Fall für das Jugendamt; womit Gesetz Nr. 2 Anwendung findet.

Hierzu stehen im Skript folgende Ausführungen:


Das Jugendamt hat bereits jetzt die Möglichkeit nach § 8a Abs. 3 SGB VIII ein Tätigwerden des Familiengerichts zu veranlassen, insbesondere wenn die Eltern nicht ausreichend kooperieren.
Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Gericht nach der Neuregelung die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind:



Die Aufzählung in § 1666 Abs. 3 BGB n.F. soll lediglich exemplarisch sein.
Zu den gerichtlichen Maßnahmen gehören insbesondere:


Nr. 1 Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen (früher § 1666a Abs. 1 S. 1 BGB)


Die unter Ziffer 1 fallenden Gebote beinhalten etwa:
· Gebote an die Eltern
· Anordnung von öffentlichen Hilfen
· Weisung, Früherkennungsuntersuchungen wahrzunehmen, um körperliche oder seelische Fehlentwicklungen vorzubeugen.
Bei Anzeichen von Vernachlässigung kann das Gericht anweisen, Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen oder einen Kindergartenplatz anzunehmen.


Nochmal, zur Verdeutlichung. Der vermeintliche Vater lässt die Vaterschaft klären. Es stellt sich heraus, dass keine biologische Verwandschaft besteht. Das Kind leidet an seelischen Qualen, die zu Drogenkonsum bzw. Drogensucht führen. Der Gesetzgeber verweigert nun in Rücksicht auf den seelischen Zustand des Kindes dem Vater die Durchführung eines Vaterschaftsanfechtungsverfahrens. Mit dem bisherigem Vater fiele nämlich nicht nur ein Verwandter weg, sondern auch ein Unterhaltsschuldner, wodurch die Staatskasse belastet würde.

Und nun drehen wir uns geistig um 180 ° und nehmen den "Vater" ins Visier. Dieser ist, weil die rechtliche Vaterschaft ja weiter besteht, Ansprechpartner bzw. Weisungsempfänger seitens Gericht und Jugendamt. Wie gewissenhaft ein "Ex-Vater" Maßnahmen zur Erziehungsberatung und Gesundheitsfürsorge beherzigen wird, der gerade die Gewißheit erlangt hat, dass der missratene Sohn nicht sein eigen Fleisch und Blut ist, bedarf nur wenig Hellseherei.

Ob diese Verkettung höchst unglücklicher Umstände in der Praxis häufig sein wird, oder nur meiner Phantasie entsprungen ist, wird sich zeigen müssen. Ich meine jedoch, dass hier die Kombination beider Gesetze keine zufriedenstellende Lösung zulässt, obwohl gerade diese gravierenden Fälle einer raschen und unbürokratischen Lösung bedürfen.

Nachtrag vom 29.10.2007
Nachdem ich nun einige Tage nachdedacht habe, komme ich zu dem Schluss, dass in diesem Falle es das Kindeswohl gebietet, das Anfechtungsverfahren durchzuführen. Denn nur so wird der Weg frei, dem Kind anstelles seines vermeintlichen Vaters, der keine Motivation hat, sich um seinen Sprössling zu kümmern, entweder den leiblichen, biologischen Vater auch de jure zur Seite zu stellen, oder der Mutter die Alleinverantwortung zukommen zu lassen.

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