Donnerstag, November 24, 2011

Auszüge aus dem Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31. März 1998 - 2 BvR 1877/97 und 2 BvR 50/98

Leider wurden die gegen die Einführung des Euro erhobenen Verfassungsbeschwerden als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Nachstehende Zitate entstammen daher auch nicht der Begründung des Gerichts, sondern stellen die Gründe der Beschwerdeführer dar. Es hat kaum 10 Jahre gedauert, um festzustellen, dass die Skepsis der Euro-Gegner mehr als berechtigt war.

Die Entscheidung kann hier im Volltext nachgelesen werden:

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs19980331_2bvr187797.html

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3. Die vorbereitenden Arbeiten für den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion haben eine lebhafte öffentliche Diskussion insbesondere über die Fragen ausgelöst, ob eine gemeinsame Währung politisch und wirtschaftlich sinnvoll ist, ob eine - entgegen der Bezeichnung im Vertrag als "Wirtschafts- und Währungsunion" - vorgesehene Währungsunion ohne Wirtschaftsunion Geldwertstabilität sichern kann, ob die Mitgliedstaaten schon die vertraglichen und ökonomischen Voraussetzungen für eine gemeinsame Währung geschaffen haben und welche Staaten an der Währungsunion teilnehmen sollen.

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Die Bundesregierung verspricht sich von dem Abbau der Währungsschranken eine folgerichtige Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarktes, mit dem Wegfall der Währungsrisiken auch eine zunehmende Planungs- und Kalkulationssicherheit, das Entfallen währungsbedingter Kosten für Transaktion und Kurssicherung, ein Sinken der Kosten des Zahlungsverkehrs, mehr Transparenz in Preisen und Kosten, neue Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten in einem gemeinschaftsweiten Finanzmarkt (vgl. Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einführung des Euro, BTDrucks 13/9347, Begründung S. 21). Das Grünbuch der Kommission aus dem Jahre 1995 nennt als weitere Vorteile die Anregung von Wachstum und Beschäftigung sowie eine "vermehrte gemeinsame monetäre Souveränität der Mitgliedstaaten" (Grünbuch über die praktischen Fragen des Übergangs zur einheitlichen Währung, KOM (95), 333 endg., S. 2). Außerdem wird es als Vorzug der Währungsunion angesehen, daß die vergrößerte Währungszone ein Gegengewicht gegen den Dollar und den Yen bilden wird.

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Gegen die Währungsunion wird vor allem eingewandt, daß sie das Ziel der Preisstabilität nicht hinreichend absichere. Die Inflationsgefahren in einer Währungsunion seien größer als bei einem Wettbewerb nationaler Zentralbanken. Vielfach wird die Diskrepanz zwischen der fortbestehenden Selbständigkeit der Haushalts- und Wirtschaftspolitiken der Teilnehmerländer einerseits und der vergemeinschafteten einheitlichen Währung andererseits als grundlegender Konstruktionsfehler der Währungsunion bemängelt. Außerdem wird die Besorgnis geäußert, daß angesichts der Arbeitslosigkeit in Europa und der teilweisen Nichterfüllung der Konvergenzkriterien die Einführung einer gemeinsamen Währung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu früh komme und diese deshalb instabil zu werden drohe (vgl. Willecke , Die Zukunft der D-Mark sowie die Stellungnahme von 165 Professoren der Wirtschaftswissenschaften: "Der Euro kommt zu früh").

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Für die zukünftige Fortentwicklung des Europarechts werde sich nach Einführung einer gemeinsamen Währung das Erfordernis einer wechselseitigen Abstimmung von nationaler und supranationaler Rechtsordnung und einer Rücksichtnahme aufeinander noch verstärken. Hierzu wird vor allem darauf verwiesen, daß die gegenwärtige Europäische Gemeinschaft in ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung die nichtökonomischen Rechtswerte und grundrechtlichen Garantien nicht schwächen, die Bildung einer Währungsunion innerhalb der Europäischen Union den Zusammenhalt dieser Union nicht gefährden und die vorgesehene Erweiterung des Kreises der EG-Mitgliedstaaten nicht erschweren dürfe. Bei der Weiterentwicklung des Europäischen Binnenmarktes müsse - auch vor dem Hintergrund weltoffener Märkte - die rechtsgewährleistende und ausgleichende Funktion des Staates gegenüber den Wirtschaftsmächten gestärkt und das Erfordernis parlamentarischer Legitimation jeder Ausübung von Hoheitsgewalt erneuert und bekräftigt werden.


II.

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1. Der Beschwerdeführer zu 1. sieht sich als Wähler in seinen Rechten auf Teilhabe an einem offenen Prozeß europapolitischer Willensbildung verletzt. Voraussetzung für eine sinnvolle Wahl sei eine objektive, die Probleme nicht verschweigende Informationspolitik der Bundesregierung. Das demokratische Mitwirkungsrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG gewähre insoweit einen Abwehranspruch gegen eine nicht hinreichend unterrichtende Informationspolitik.

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Nach dem Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei es verfassungswidrig, das in Art. 38 Abs. 1 GG verbürgte Mitentscheidungsrecht der Bürger durch Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages so zu entleeren, daß das demokratische Prinzip und die demokratische Legitimation aller öffentlichen Gewalt verletzt werde. Insbesondere der Bundeskanzler und die von ihm geführte Bundesregierung seien dabei, den Beitritt Deutschlands zur Währungsunion durchzusetzen, obwohl die Konvergenzkriterien - durch eine "kreative Buchführung" - nur scheinbar eingehalten würden.

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Neuerdings mehrten sich auch Stimmen, die jene Konvergenzkriterien einer Interpretation zugänglich machen und schon deren annähernde Erfüllung für eine Teilnahme an der Währungsunion genügen lassen wollten. Durch eine solche Auslegung des Vertrages von Maastricht würden die Beschwerdeführer des Maastricht-Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht aus dem Jahre 1993 in besonderem Maße getäuscht, da gerade die Unbestimmtheit der Konvergenzkriterien einer ihrer Kritikpunkte gewesen sei. Dies sei aber damals mit Hinweis auf das Erfordernis strikter Einhaltung der Konvergenzkriterien als nicht stichhaltig angesehen worden.

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Auch solle nunmehr - entgegen früheren Aussagen - die Währungsunion ohne eine begleitende politische Union verwirklicht werden und somit als Vehikel zur Erreichung der politischen Union dienen. Die Gemeinschaft empfange aber ihre Legitimation aus der Ausrichtung auf wirtschaftspolitische Themen und Kompetenzen. Bei einer solchen Steuerung aus wirtschaftlicher Perspektive drohe die Integration eine Entwicklung hin zu einer dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip verpflichteten politischen Einheit Europas eher zu hindern als zu fördern.

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Insgesamt bestehe die Gefahr, daß der Kompetenz- und Aufgabenbereich der grundgesetzlichen Demokratie durch eine Politik verlorengehe, die zu einer erheblichen Verlagerung von Aufgaben auf die Europäische Gemeinschaft führe, ohne daß hierüber eine ernsthafte politische Auseinandersetzung stattfinden könne; dadurch werde zugleich das im Wahlrecht zum Ausdruck kommende politische Mitentscheidungsrecht aller Bürger ausgehöhlt.

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2.a) Auch die Beschwerdeführer zu 2. sehen sich durch die gegenwärtige Währungspolitik in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 GG verletzt. Der Deutsche Bundestag habe die Verantwortung für die Währungsunion gemäß den Bestimmungen des Vertrages von Maastricht übernommen; daher seien die Stabilitätsanforderungen dieses Vertrages eine verbindliche Grenze der Integrationspolitik. Eine Beteiligung Deutschlands an der Währungsunion entgegen dem Konzept der Stabilitätsgemeinschaft sei nicht mehr vom Deutschen Bundestag verantwortet und auch nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedeckt.

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Sollte der Deutsche Bundestag selbst bei seinem Votum über die Teilnahme Deutschlands an der dritten Stufe der Währungsunion das Stabilitätskonzept mißachten, so könne dies unter Berufung auf Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG angegriffen werden, weil die Teilnahme Deutschlands nur dann parlamentarisch verantwortbar sei, wenn die Währungsunion berechenbar bleibe. Die Beschwerdeführer stützen sich dabei insbesondere auf ein subjektives Recht auf Freiheitlichkeit aller Politik. Diese sei letztlich Erkenntnis des Rechts. Deshalb habe der Einzelne ein Bürgerrecht darauf, daß der Deutsche Bundestag sich bei seinen Beschlüssen an das Recht halte. Vertrete er das Volk entgegen dem Recht, so verletze dies das verfassungsbeschwerdefähige Recht auf Repräsentation der Sittlichkeit und der praktischen Vernunft durch die Vertreter des Volkes.

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Die Beschwerdeführer machen außerdem geltend, daß die Europäische Union mit dem Übergang zentraler währungspolitischer Befugnisse substantielle Staatlichkeit gewinne. Den Parlamenten der Mitgliedstaaten verblieben mit der Errichtung der Währungsunion keine Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht mehr. Der Übergang zur Währungsunion führe zur Staatlichkeit Europas und bedürfe deshalb einer neuen Verfassung.

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b) Weiter rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG. Zwar stehe das Bundesverfassungsgericht einem grundrechtlichen Schutz gegen inflationäre Vermögenseinbußen bislang eher zurückhaltend gegenüber. Diese Zurückhaltung sei unproblematisch, soweit die Inflation nicht hinreichend sicher auf staatliche Maßnahmen zurückgeführt werden könne. Setze der Staat jedoch - wie bei der Entscheidung über die Teilnahme an einer Währungsunion mit anderen Staaten - die alleinige Ursache für eine Inflation, dann sei der Schutzbereich von Art. 14 GG berührt. Die Beschwerdeführer nennen vor allem sieben Gesichtspunkte, aus denen sich ihrer Auffassung nach eine in diesem Sinne verfassungsrechtlich erhebliche Inflationsgefahr ergebe:

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(1) Die Vereinbarung einer Währungsunion ohne gleichzeitige politische Union sei ein struktureller Fehler des Maastricht-Vertrages, der zwangsläufig inflationäre Entwicklungen begünstige. Bei Fehlen einer politischen Union könne eine am Ziel der Preisstabilität ausgerichtete Politik der EZB von den Mitgliedstaaten unterlaufen werden. Der Vertrag verfolge eine "abwegige Sachzwangstrategie", mit der die politische Union durch die Währungsunion erreicht werden solle. Dagegen lehre alle Erfahrung, daß umgekehrt die politische Union Voraussetzung für eine Währungsunion sei. Ohne eine politische Union sei die Gemeinschaft ein unvollkommener Staat, der die sozialen Fragen gerade wegen der Währungsunion nicht bewältigen könne. Die disharmonische Gestalt der Währungsunion, bei der Wirtschaft und Währung, Markt und Wettbewerb gemeinschaftlich geregelt, das Soziale aber national bewältigt werden solle, sei nur durchführbar, wenn man die Sozialpolitik minimiere. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit gerate eine am Vorrang der Preisstabilität ausgerichtete europäische Währungspolitik mit dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes in Konflikt.

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(2) Mit dem Wegfall des Währungswettbewerbs zwischen den nationalen Zentralbanken entfalle ein zentrales Element der Stabilitätssicherung. Unter dem bisherigen System des EWS sei derjenigen Währung die Funktion einer Ankerwährung zugefallen, der die Anleger das größte Vertrauen entgegenbrächten. Auf diese Weise sei ein Wettbewerb um die Position der Ankerwährung entstanden, der für eine stabilitätsorientierte Politik aller Mitgliedstaaten gesorgt habe. Die Währungsunion ersetze dieses auf Wettbewerb ausgerichtete System durch eine Monopolstellung der EZB, welche weder dem beschriebenen Wettbewerb ausgesetzt sei noch die Stabilitätsreputation der Deutschen Bundesbank für sich in Anspruch nehmen könne. Zwar orientiere sich die EZB strukturell am Vorbild der Bundesbank; dennoch könne von ihr keine vergleichbar stabilitätsorientierte Geldpolitik erwartet werden, weil es an einer gemeinsamen Stabilitätskultur in den Teilnehmerstaaten fehle.

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Das entscheidende Risiko bestehe darin, daß ein "innerer Dissens" in die Währungsunion hineingetragen werde. Mit der verbindlichen Festlegung der Wechselkurse entfalle die Möglichkeit, daß unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen sich über Preise, Zinsen und Wechselkurse auspendelten. Dadurch würde zum politischen Streit, was zuvor durch Marktmechanismen geräuschlos kanalisiert und geregelt worden sei. Eine derart konfliktbeladene Währungsunion werde sich als Sprengsatz für die Gemeinschaft erweisen.

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(3) Die unterschiedliche Stabilitätskultur werde in den verschiedenen Vorstellungen in Deutschland und in Frankreich über die Prioritäten zwischen Geldwertstabilität und hohem Beschäftigungsniveau besonders deutlich. Insoweit sei bezeichnend, daß die Ziele des Art. 2 EGV durch den Amsterdamer Vertrag ergänzt worden seien und dort nun das hohe Beschäftigungsniveau vor der Geldwertstabilität genannt werde.

(Hervorhebungen vom Verfasser)

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