Laut einem Bericht der Rhein-Neckar-Zeitung aus Heidelberg haben zwei Rechtsanwälte bereits angekündigt das Wahlergebnis anzufechten.
Der Landtag von Baden-Württemberg hat im April 2013 den § 12, I der Gemeindeordnung geändert. Er lautet nun:
Bürger der Gemeinde ist, wer Deutscher im Sinne von Artikel 116 des Grundgesetzes ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt (Unionsbürger), das 16. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnt.An die Bürgereigenschaft ist in Baden-Württemberg das Kommunalwahlrecht gebunden, § 14,I GO BW lautet:
Die Bürger sind im Rahmen der Gesetze zu den Gemeindewahlen wahlberechtigt und haben das Stimmrecht in sonstigen Gemeindeangelegenheiten.
Nach Auffassung der beiden Kollegen verstößt § 12 GO BW gegen Art. 26,I der Landesverfassung BW, darin heißt es:
Wahl- und stimmberechtigt ist jeder Deutsche, der im Lande wohnt oder sich sonst gewöhnlich aufhält und am Tage der Wahl oder Abstimmung das 18. Lebensjahr vollendet hat.
Diese Regelung definiere abschließend den Begriff des Wahlvolkes und gelte für alle dem Landesrecht unterfallenden Wahlen und Abstimmungen. Eine Herabsetzung des Wahlalters hätte demnach eine Verfassungsänderung vorausgesetzt.
Dem gegenüber ist das Innenministerium der Auffassung, dass über die Verweisungskette der Art. 26, VIII LV BW, 72, III LV BW der einfache Gesetzgeber dazu berechtigt war das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen.
Der vollständige Wortlaut sei hier wiedergegeben:
Art. 26, VIII
Für Wahlen und Abstimmungen in Gemeinden und Kreisen gilt Artikel 72
Art. 72 LV BW:
(1) In den Gemeinden und Kreisen muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar sowie bei Abstimmung stimmberechtigt.
(2) Wird in einer Gemeinde mehr als eine gültige Wahlvorschlagliste eingereicht, so muß die Wahl unter Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältniswahl erfolgen. Durch Gemeindesatzung kann Teilorten eine Vertretung im Gemeinderat gesichert werden. In kleinen Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Vertretung die Gemeindeversammlung treten.
(3) Das Nähere regelt ein Gesetz.Für die anstehenden Wahlen kommt es nun darauf an, welchen Gesetzgebungsauftrag Art. 72, III LV BW enthält. Das Innenministerium ist offenbar der Ansicht, dass die Verweisung in Art. 26, VIII klarstelle, dass sämtliche Regelungen in den vorangehenden Bestimmungen des Art. 26 LV gerade nicht für Kommunalwahlen gelten sollen, so dass die Neuregelung der Gemeindeordnung verfassungskonform sei.
Demgegenüber vertrete nunmehr auch ich die Ansicht, dass das Wahlalter in Art. 26,I LV BW abschließend geregelt wurde, während die Gesetzgebungskompetenz in Art. 72,III LV BW nur die Regelung von Detailfragen gestattet, die in den Absätzen 1 und 2 des Art. 72 LV BW aufgeworfen werden.
Interessanterweise wurde die Problematik, ob die Neuregelung verfassungskonform sei, im Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht thematisiert, nicht einmal von der Opposition aus CDU und FDP.
Nun gibt es ja in verschiedenen Bundesländern ebenfalls das Kommunalwahlrecht mit 16, so etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Dort schweigt sich aber gerade die Landesverfassung über das Wahlalter insgesamt aus, so dass hier eine einfach-gesetzliche Regelung ausreichend war.
Meines Erachtens ist der vollständige Wortlaut des Art. 26 LV BW zu beachten:
(1) Wahl- und stimmberechtigt ist jeder Deutsche, der im Lande wohnt oder sich sonst gewöhnlich aufhält und am Tage der Wahl oder Abstimmung das 18. Lebensjahr vollendet hat.So stellt Abs. IV allgemeine Grundsätze auf, die für "alle nach der Verfassung durch das Volk vorzunehmenden Wahlen" gelten, somit auch für die Kommunalwahlen. Eine Abweichung hiervon wäre nach dem eindeutigen Wortlaut nicht durch ein einfaches Gesetz nach Art. 72, III LV BW zulässig.
(2) aufgehoben
(3) Die Ausübung des Wahl- und Stimmrechts ist Bürgerpflicht.
(4) Alle nach der Verfassung durch das Volk vorzunehmenden Wahlen und Abstimmungen sind allgemein, frei, gleich, unmittelbar und geheim.
(5) Bei Volksabstimmungen wird mit Ja oder Nein gestimmt.
(6) Der Wahl- oder Abstimmungstag muß ein Sonntag sein.
(7) Das Nähere bestimmt ein Gesetz. Es kann das Wahl- und Stimmrecht von einer bestimmten Dauer des Aufenthalts im Lande und, wenn der Wahl- und Stimmberechtigte mehrere Wohnungen innehat, auch davon abhängig machen, daß seine Hauptwohnung im Lande liegt.
(8) Für Wahlen und Abstimmungen in Gemeinden und Kreisen gilt Artikel 72
Der Begriff des "Wahlvolkes", welches die Kommunalwahlen vorzunehmen hat, wird durch Art. 26,I (Deutsche, 18 Jahre, Wohnsitz in BW) und Art. 72,I,2 (EU-Bürger) definiert.
Ebenso, dass Wahlen stets an einem Sonntag stattfinden müssen, Abs. VI.
Es gibt meines Erachtens keinen vernünftigen Anhaltspunkt dafür, weshalb diese allgemeinen Grundsätze nicht auch, soweit Art. 72 keine anderen Regelungen enthält, für Kommunalwahlen gelten sollten.
Die Herabsetzung des Wahlalters durch die Gemeindeordnung ist somit verfassungswidrig.
Ich halte § 12 GO noch in einem anderen Punkt für verfehlt. Der einfache Gesetzgeber hat den Bürger definiert und nunmehr schon 16-jährigen über den "Bürgerstatus" das Wahlrecht bei Kommunalwahlen zukommen lassen.
Dabei scheint mir übersehen worden zu sein, dass die Gemeindeordnung neben den "Bürger-Rechten" wie etwa dem Wahlrecht, auch "Bürger-Pflichten" enthält. So haben etwa "Bürger" nach § 15 GO BW die Pflicht(!) "eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Gemeinde (eine Wahl in den Gemeinderat oder Ortschaftsrat, ein gemeindliches Ehrenamt und eine Bestellung zu ehrenamtlicher Mitwirkung) anzunehmen und diese Tätigkeit während der bestimmten Dauer auszuüben."
Somit könnten in BW, außer zum Gemeinderat, Minderjährige ab 16 Jahren zur Annahme eines kommunalen Ehrenamtes gezwungen werden, da "Minderjährigkeit" als Ablehnungsgrund gerade nicht vorgesehen ist.
Guter, weil verständlicher Beitrag.
AntwortenLöschenZu Ihrer Bemerkung, dass die Opposition im LT nix sagte:
a) Vielleicht hatte die Post-Mappus-CDU keine Lust auf eine weitere LV-Debatte nach der EnBW-Schlappe vor dem Staatsgerichtshof. Jetzt müssens die Heidelberger Anwälte richten, werbewirksam kurz vor der Kommunalwahl.
b) Diese andere Partei in der Opposition, die Sie außerdem erwähnten, FDP, sagten Sie glaub ich, wer waren die eigentlich nochmal?