Vorgestern habe ich mir den Kopf über nachstehende, durchaus interessante Rechtsfrage zerbrochen:
In einem Strafverfahren soll ein (vermeintlich) Geschädigter als Zeuge vernommen werden. Aufgrund der körperlichen Konstitution des Zeugen (§ 223 StPO) beschließt das Gericht, einen beauftragten Richter zum Zeugen zu senden, um diesem eine längere Anfahrt zu ersparen. Der Zeuge soll in seiner Wohnung vernommen werden.Bereits in der Ladung stellt das Gericht klar, dass das Anwesenheitsrecht von Angeklagten und Verteidigern von der Zustimmung des Hausrechtsinhabers abhänge.
Wie ist der Fall zu betrachten, wenn der Zeuge tatsächlich von seinem Hausrecht Gebrauch macht und dem Angeklagten und/oder dem Verteidiger den Zutritt zu seinen Wohnräumen verweigert?
Bei der Prüfung der Rechtslage bin ich auf das Urteil des BGH vom 14.06.1994, 1 StR 40/94, NJW 1994, 2773 gestoßen.
Nach dieser Entscheidung findet die Öffentlichkeit des Verfahrens ihre Grenzen an dem Hausrecht des Besitzers des zu besichtigenden Grundstücks. Allerdings verweigerten in diesem Fall die Inhaber des Hausrechts, die zugleich die Angeklagten waren, nur der "Öffentlichkeit" den Zutritt, während sie diesen den Beteiligten gestatteten. In meinem Fall muss davon ausgegangen werden, dass der Zeuge, wenn er überhaupt dem Gericht den Zutritt zu seiner Wohnung gestattet, den Angeklagten und deren Verteidigern diesen verwehren wird.
Aus der Kommentierung zu § 213 StPO folgt, dass Terminsbestimmung und zwar nach Zeit und Ort Sache des Vorsitzenden ist, der nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. So können die Hauptverhandlung oder Teile davon auch außerhalb des Gerichtsgebäudes abgehalten werden.
Nach § 168c II StPO ist dem Beschuldigten/Angeklagten und dem Verteidiger die Anwesenheit bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen gestattet. Hierdurch soll dem Unmittelbarkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden, wonach das Gericht seiner Entscheidung nur solche Erkenntnisse zugrunde legen darf, die es während der Hauptverhandlung erlangt hat. Gleichzeitig dient das Anwesenheitsrecht von Angeklagten und Verteidigung auch der Umsetzung einer effektiven Verteidigung. Nur durch Ausübung des Fragerechts des Beschuldigten oder dessen Verteidiger können sachdienliche Details zu Tage befördert werden oder solche Aspekte beleuchtet werden, die weder Gericht noch Staatsanwaltschaft bekannt oder präsent sind.
Wie soll also vorgegangen werden, wenn nur dem Richter die Möglichkeit der Zeugenvernehmung eingeräumt wird und damit grundlegende Rechte der Verteidigung beschnitten werden? Kann das Gericht argumentieren, dass irgendeine Befragung des Zeugen doch immerhin besser sei, als gar keine? Kann der Angeklagte und sein Verteidiger argumentieren, das Gericht müsse bei der Erforschung der Wahrheit das Recht des Angeklagten auf eine effektive Verteidigung wahren? Muss die Rüge der Nichtverwertbarkeit noch vor Beginn der Befragung erhoben werden? Kann sie noch vor Schluss der Beweisaufnahme erfolgen, wenn zu befürchten ist, dass das Ergebnis eher ungünstig war?
Fragen über Fragen, die ich zum Glück nicht beantworten musste, denn mir und dem Mandanten wurde nicht nur der Zutritt und die Teilnahme an der Vernehmung gestattet, sondern zwischendurch sogar Kaffee und Kuchen gereicht. Das war auch bitter nötig, denn die Vernehmung (von zwei Zeugen) zog sich bei einer 10-minütigen Unterbrechung über mehr als 6 Stunden hin.
Nach der Rechtsprechung des BGH würde man in dem Fall darauf abstellen, ob das Verfahren "insgesamt" fair gewesen ist.
AntwortenLöschenDie Antwort wird (wie immer) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit "ja" lauten.
Dennoch ist die Frage höchstumstritten, da seit 2009 eine Wandel in der Rechtsprechung des EGMR stattgefunden hat. Hat man vorher ähnlich wie der BGH argumentiert, sieht man das Frage- und Anwesenheitsrecht nunmehr als ein rechtliches Minimum ("minimum right").
Die Problematik wird in einem Aufsatz im hrr-strefrecht gut dargestellt
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/11-04/index.php?sz=7